Anastasias Botschaft: Die größte Unterstützung für uns ist, die Ukrainer und Ukrainerinnen nicht zu vergessen.
Anastasia ist Agrarmeteorologin an einer Wetterstation in der Ostukraine, nur 70 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt. 2022 stand das russische Militär schon vor den Toren der Wetterstation. Dieser Kampf wurde gewonnen. Nun kämpft sie zusammen mit ihrem Team seit mehr als zwei Jahren gegen die Angst vor Raketenangriffen, Sprengminen im Boden, aber auch für den Fortbestand der Wetterstation und die Begeisterung für Wetter bei Kindern. Sie steht stellvertretend für alle Menschen, die die zivile Infrastruktur in der Ukraine trotz ständiger Lebensgefahr am Laufen halten. Wir haben sie interviewt und wollten wissen, wie es mit dem Wetter ist, wenn Krieg herrscht.Meteopool: Hallo Anastasia, schön dass du dir Zeit nimmst. Bitte stelle dich kurz unserer Community vor. Was genau machst du in der Ukraine und wie bist du an einer offiziellen Wetterstation "gelandet"?Anastasia: Hallo, ich bin Anastasia Bratukha und ich arbeite als Agrarmeteorologin für das
Regionale Zentrum für Hydrometeorologie in Sumy. Ich arbeite in einer kleinen Stadt an einer offiziellen Wetterstation. Ich führe hier thematische und spezielle Beobachtungen durch. Die gewonnenen Daten werden von mir verarbeitet, zusammengefasst und elektronisch gespeichert. Zudem bin ich für die Qualitätskontrolle agrarmeteorologischer Beobachtungsdaten verantwortlich. Abgesehen von diesen Tätigkeiten kümmere ich mich auch um die Aufklärungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Von Zeit zu Zeit führen wir für diejenigen, die es wünschen, Exkursionen zur Wetterstation durch, um die jüngere Generation für die Arbeit an der Wetterstation zu begeistern.
Ich bin nicht zufällig bei der Wetterstation gelandet! Es ist sozusagen eine familiäre Berufung. Schon meine Großmutter arbeitete als Agrarmeteorologin und wurde nach einiger Zeit die Leiterin der Wetterstation. Aktuell leitet meine Mutter die meteorologische Station. Wie ihr seht, Meteorologie und die Wetterstation ist eine Familiensache. Ich interessiere mich schon seit meiner Kindheit dafür. Nach der Schule absolvierte ich an der Universität meinen Abschluss im Bereich Geografie, arbeitete dann zunächst im Bereich Kartografie und fünf Jahre später ging es los mit der Wetterstation.
Neugierige, junge Generation: Schlange stehen für die Wetterstation.
Meteopool: Vielen Dank für die ausführliche Antwort! Wie sieht denn ein typischer Tag an der Wetterstation aus?Anastasia: Die Wetterstation ist rund um die Uhr besetzt und sendet entsprechend auch durchgehend Daten. Los geht es früh um 8 Uhr, da haben sich bereits alle Mitarbeiter an der Wetterstation eingefunden: der diensthabende Meteorologietechniker, der Leiter der Wetterstation, der Aktinometertechniker, der Agrarmeteorologietechniker und die Putzfrau ist auch schon da. Der Meteorologietechniker von der Nachtschicht berichtet an die Tagschicht alle relevanten Informationen zum aktuellen und vergangenen Wetter sowie zu meteorologischen Beobachtungen.
Nach einem kurzen Briefing beginnen die Mitarbeiter mit ihren unmittelbaren Aufgaben. Ein Meteorologietechniker sendet alle drei Stunden zahlreiche Wetterdaten an unser Regionalzentrum in Charkiw (Kharkiv). Im gleichen Rhythmus werden auch Daten zur Sonneneinstrahlung erhoben. Der Leiter der meteorologischen Station überwacht die Qualität der Wetterinformationen, beantwortet Anfragen der Polizei, der staatlichen Notdienste sowie von Behörden und unterstützt die Mitarbeiter bei der Erfassung komplexer Wetterphänomene.
Meteopool: Was sind die interessantesten und schwierigsten Aufgaben? Was ist deine Lieblingsarbeit?Anastasia: Meine Arbeit als agrarmeteorologische Technikerin ist sehr jahreszeitabhängig. Im Winter beobachte ich zum Beispiel die Schneehöhe und den Bodenfrost. Eine weitere Aufgabe ist die Erfassung der Bodentemperatur für das Keimen des Winterweizens und die Beurteilung der Überlebensfähigkeit von Winterweizen.
In den warmen Jahreszeiten fahre ich zu den Feldern, auf denen Pflanzen angebaut werden, bestimme die Phase der Pflanzenentwicklung, nehme Bodenproben zur Bestimmung der Feuchtigkeit und noch Vieles mehr. Eine der schwierigsten Aufgaben ist die Bestimmung der Bodenfeuchtigkeit, da wir hierbei etwa 60 Bodenproben entnehmen, die dann an die Station geliefert werden müssen. Leider haben wir an der Station keine dienstlichen Transportmöglichkeiten, sodass wir auf eigene Faust zum Feld mit den Pflanzen fahren müssen. Meine Arbeit ist gleichermaßen herausfordernd wie interessant. Die Veränderungen in der Natur mit meinen eigenen Händen zu beobachten ist für mich der spannendste Aspekt daran.
Meteopool: Hat sich deine Arbeit angesichts der aktuellen Situation und der Bedrohungen in der Ukraine verändert?Anastasia: Der Krieg gegen die Ukraine erfordert Anpassungen bei der Arbeit an der Wetterstation. Am Tag des Überfalls auf die Ukraine gab es Kampfhandlungen direkt im Umfeld der Wetterstation. Unweit der Wetterstation kam es zu einem Feuergefecht und ein gepanzerter Truppentransporter gab hier den Geist auf, blieb liegen. Eine weitere Gefahr ist, dass jederzeit und überall Minen liegen können. Das ist eine unmittelbare Gefahr wenn wir agrarmeteorologische Messungen durchführen oder Proben entnehmen. Da unsere Stadt nicht weit von der Staatsgrenze entfernt ist, haben wir nahezu jeden Tag Luftalarm. Unsere Stadt wurde
schon mehrfach von Raketen getroffen. Eines Tages schlug eine Rakete nur 500 Meter entfernt von der Wetterstation entfernt auf dem Parkplatz einer Autowerkstatt ein. Ein weiteres Problem stellen die Stromausfälle dar. Wenn der Strom ausfällt, bricht auch unsere Kommunikation und das Internet zusammen. Trotz des Krieges und all der Probleme führen wir unsere Arbeit so gut es geht fort und senden weiterhin Wetterdaten, um unseren Beitrag zur gesamten Wetterlagen und aktuellen Karten beizutragen.
Rauchwolken statt Cumulus - ein Rauchpilz steigt unweit der Wetterstation nach einem Luftangriff mit Raketen auf. Im Wetterbericht landet diese Wolke jedoch nicht.
Meteopool: Abgesehen von Frieden oder einem Sieg im Krieg, wird an der Wetterstation konkrete Unterstützung benötigt? Können Menschen im Ausland eure Arbeit unterstützen?Anastasia: Wir haben alles, was man für die Arbeit braucht, ein freundliches Team, Ausrüstung sowie genug Leidenschaft und Wille, weiter an der Station zu arbeiten. Einige unserer Geräte sind alt, aber das Hydrometeorologische Zentrum hat sie durch neue ersetzt. Vor 7 Jahren wurde unser Gebäude umfassend saniert. Wann immer wir Probleme haben, wenden wir uns an das Hydrometeorologische Zentrum in Sumy, wo uns immer geholfen wird. Wir könnten auch Unterstützung durch Freiwillige gebrauchen, das ist eine äußerst nützliche und wichtige Sache, aber leider hatten wir bislang keine Freiwilligen an unserer Wetterstation.
Die größte Unterstützung für uns ist, die Ukrainer und Ukrainerinnen nicht zu vergessen. Darüber zu berichten, was in und mit unserem Land passiert. Freiwillige Helfer unterstützen uns enorm, sie kümmern sich um Menschen, die gezwungen sind, ihre Häuser zu verlassen und um Tiere, um die sich niemand mehr kümmern kann. Wir freuen uns über jede Unerstützung, jede Hilfe und jede Spende. Wir werden dafür sehr dankbar sein und uns ewig an diese Unterstützung erinnern.
Meteopool: Anastasia, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir und deinem Team alles Gute!Das Interview wurde im Zeitraum Ende 2023 - Anfang 2024 von Guido Richter durchgeführt und mehrfach durch Luftangriffe und Herausforderungen vor Ort unterbrochen.Anastasia empfiehlt folgende Projekte für finanzielle oder materielle Unterstützung:https://u24.gov.ua/projectshttps://social.edopomoga.gov.ua/uk/#how-to-helphttps://savelife.in.ua/Meteopool empfiehlt die
Seite des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Das DZI-Siegel wird an Hilfsorganisationen vergeben, die nachweislich Unterstützung effizient weitergeben und transparent arbeiten. Auf der Seite befindet sich eine Liste mit geprüften Organisationen. Meteopool bekennt sich öffentlich und entschieden zum Existenzrecht der international anerkannten Ukraine und gegen den russischen Eroberungskrieg.
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Artikel zu Meteorologen im KampfeinsatzStaatlicher Wetterdienst der Ukraine (UkrHMC - Ukrainisches hydrometeorologisches Zentrum):
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