Thomas Sävert ist sicher: "Fast jeder ist an Unwettern interessiert"
Thomas Sävert ist Meteorologe und beschäftigt sich seit Jahrzehnten sowohl beruflich als auch privat mit dem Wetter. Unter www.naturgewalten.de berichtet er seit der Jahrtausendwende über Naturkatastrophen weltweit. Mit der Tornadoliste (www.tornadoliste.de) betreibt er die umfangreichste Tornadodokumentation Deutschlands. Guido Richter von Meteopool.org sprach mit ihm.
Meteopool: Hallo Thomas, schön, dass du dir Zeit nimmst. Sowohl beruflich als auch privat hast du dich dem Wetter verschrieben. Bekannt bist du vor Allem für deine unermüdliche Arbeit an deiner umfangreichen Naturgewalten-Webseite, die in diesem Jahr den 15. Geburtstag feiert und - bedenkt man den Beginn des Internets, wie wir es heute kennen - somit zweifelsohne zu den Urgesteinen der heutigen Internetlandschaft zählt. Wie und wann wurde in dir der Wettergeist geweckt, der dich auch nach mehreren Jahrzehnten so stark motiviert?
Thomas Sävert: Der wurde schon sehr früh geweckt. Ich bin unweit der Nordsee aufgewachsen, nur ein Deich stand zwischen der Nordsee und unserem Haus, das sich etwa einen halben Meter unter dem Meeresspiegel befindet. Wenn man so exponiert wohnt, dann verfolgt man automatisch das Wettergeschehen, hört vor allem beim Wind genauer hin. Denn schon die nächste Sturmflut könnte doch mal das Dorf erreichen. Stürme wie der Orkan "Capella" im Januar 1976 haben mich geprägt, dazu kamen noch Erlebnisse wie ein Tornado, der in den späten 1970er Jahren durch unseren Ort zog und dabei nur knapp unser Haus verfehlte. Er richtete einige Schäden an. Und der Winter 1978/79 trug ebenfalls dazu bei, meine (Un)Wetterleidenschaft zu wecken bzw. zu steigern. So erklärt sich auch, dass vor allem Stürme aller Art von Tornados bis hin zu Orkanen und tropischen Wirbelstürmen zu meinem Fachgebiet wurden. Ich habe auch schon früh gemerkt, wie wichtig Wettervorhersagen und besonders Unwetterwarnungen sind. Daher gab es für mich auch nie eine Alternative zu dem Beruf, den ich dann ergriffen habe.
Meteopool: Das ist eine ganze Palette an Erlebnissen, die einiges erklärt. Wie kam es dazu, eine derart umfangreiche Webseite zu eröffnen und Ereignisse aus aller Welt zusammenzutragen?
Thomas Sävert: Ende der 1990er Jahre begann allmählich das Internetzeitalter und ich überlegte, wie ich im Netz auftreten könnte. Damals schossen private Wetterseiten wie Pilze aus dem Boden und ich wollte mich da nicht einreihen, sondern etwas Besonderes schaffen. Da ich mich schon lange vorher auch mit anderen Naturkatastrophen befasst hatte, war es nahe liegend, ein Portal zu allen möglichen Naturgewalten zu erstellen und dem Projekt den Namen Naturgewalten zu geben. Im Winter 1999 / 2000 entstanden die ersten Seiten, zunächst mit nur wenigen Besuchern und auch nur wenigen Themen wie Hurrikane und Tornados. Nach und nach wuchsen die Seiten aber und es kamen viele weitere Themen hinzu. So startete ich nach einem verpassten Polarlichtereignis Anfang April 2000 meine umfangreiche Polarlichtseite und mit der Saison 2000 gab es auch die Tornadoliste, zunächst mit nur wenigen bekannten Fällen. Der große Durchbruch kam mit einem Interview in einem großen deutschen Nachrichtenportal im August 2000.
Meteopool: Kannst du seit diesem "Durchbruch" eine bestimmte Tendenz ableiten? Nehmen die Meldungen zu? Lassen sich Aussagen über die Unwetterhäufigkeiten ableiten? Wie erreichen dich all die Berichte, welche Menschen stecken dahinter?
Thomas Sävert: Ja, die Meldungen haben eindeutig zugenommen. Das bedeutet aber nicht, dass auch die Unwetter häufiger geworden sind. Seit 1999/2000 sind mehrere große Unwetterseiten im Internet gestartet, darunter neben meinen eigenen Seiten auch TorDACH (= Tornados in Deutschland, Österreich, Schweiz), die Unwetterzentrale (2003), die ich mit gegründet habe, und die europäische Unwetterdatenbank ESWD (2005). Die Unwetterzentrale in Bochum wurde leider im Frühjahr 2015 geschlossen.
Mit den neuen Sammelstellen für Unwetter kamen automatisch mehr Meldungen zusammen. Speziell bei den Tornados in Deutschland kann ich sagen, dass die Zahlen zunächst um ein Vielfaches gestiegen sind, in den vergangenen 15 Jahren aber kein eindeutiger Trend mehr erkennbar war. Dabei schwanken die Tornadozahlen von Jahr zu Jahr sehr stark. Eine genaue Statistik gibt es derzeit noch nicht, daran arbeiten wir Meteorologen noch. Dabei erreichen mich Berichte nicht nur über meine Internetseiten, sondern inzwischen auch vermehrt über Social Media. Dazu kommen viele Pressemeldungen, die mich über verschiedene Verteiler erreichen. Immer mehr Menschen haben mittlerweile ihr Smartphone direkt greifbar und melden sich während oder nach einem Tornado bei mir. Allein der Facebook-Auftritt der Tornadoliste hat die Zahl der Meldungen in 2014 und 2015 deutlich ansteigen lassen. Hinter den Meldungen stecken dabei sämtliche Bevölkerungsschichten, fast jede/r ist an Unwettern interessiert.
-> Facebook-Auftritt der Tornadoliste
Meteopool: Hast du den Eindruck, dass sich auch die Wahrnehmung an sich von Unwetterereignissen verändert hat? Ist der Tornado im Jahre 2015 noch amerikanisch, oder ist er mittlerweile auch in unserer Gesellschaft angekommen? Wissen die Menschen mittlerweile, dass Hurrikans und Tornados nicht gleich sind, dass aber eine Windhose auch ein Tornado ist?
Thomas Sävert: Ja, die Wahrnehmung von Unwettern hat sich verändert, wir bekommen jedes größere Unwetter quasi live in unser Wohnzimmer geliefert, sind direkt dabei. Allerdings entsteht dadurch der Eindruck, dass die Unwetter schlimmer werden und häufiger vorkommen. Das vermitteln zumindest die vermehrten Berichte darüber. Der Tornado als Begriff ist leider immer noch nicht angekommen, weil die Medien oft noch verharmlosend berichten, oft ist die Rede von einer Windhose oder gar einem "Mini-Tornado". Dabei gibt es diesen Begriff eigentlich gar nicht. Er wurde von einigen Medien erfunden, um zu zeigen, dass Tornados bei uns nicht so stark sind wie die Twister in den USA. Dies ist aber falsch. Auch bei uns treten sehr starke Tornados auf. Leider wissen daher die meisten Menschen immer noch nicht, dass es keinen Unterschied zwischen einem Tornado und einer Windhose gibt. Auch werden häufig noch Tornados und Hurrikane verwechselt.
Meteopool: 2015 war gewittertechnisch ein bewegtes Jahr. Starke Tornados brachten das Thema erneut in die Medien. Du hast deine Tornadoliste einer umfänglichen Modernisierung unterzogen. Wie blickst du auf das Jahr zurück? Was sind die wichtigsten Änderungen an der Tornadoliste und wie sieht die Zukunft aus?
Thomas Sävert: Das Jahr 2015 war schon ein auffälliges, wenn auch kein außergewöhnliches Tornadojahr. Vor allem der Monat Mai brachte einige Tornados, darunter gleich drei der Stärke F3 (ab ca. 255 km/h) innerhalb von nur acht Tagen. Diese richteten einen Gesamtschaden im dreistelligen Millionenbereich an. Allein im bayerischen Affing bei Augsburg mussten 15 Gebäude nach einem starken Tornado am 13. Mai abgerissen werden, die Schäden in dem kleinen Ort werden auf etwa 40 Millionen Euro geschätzt. Am selben Abend hinterließ ein ebenso starker Tornado eine viele Kilometer lange Schneise der Verwüstung im südlichen Baden-Württemberg. Am 05. Mai war bereits die mecklenburgische Kleinstadt Bützow betroffen.
Drei Tornados dieser Stärke treten nicht allzu oft innerhalb so kurzer Zeit auf, im langjährigen Mittel ist etwa ein F3-Tornado alle zwei Jahre in Deutschland zu erwarten. Es geht aber noch extremer: Während des Orkans "Kyrill" am 18.01.2007 zogen drei F3-Tornados an einem einzigen Tag über unser Land.
Nach 15 Jahren wurde es Zeit, die Tornadoliste zu verändern. Sämtliche Tornados und Tornadoverdachtsfälle wurden in eine Datenbank übertragen und die Seite komplett neu erstellt. Viele neue Funktionen sind hinzugekommen und für die Zukunft sind weitere geplant. Man kann einen Ort oder sogar eine Postleitzahl in die Suche eingeben und nachschauen, wann es hier schon mal einen Tornado gab. Die Fälle lassen sich nach Jahren, aber auch nach Bundesländern sortieren. Der neueste Eintrag wird angezeigt und man sieht, welcher Fall am Tag des Aufrufs seinen Jahrestag hat. Auch bei Facebook und Twitter ist die Tornadoliste immer stärker vertreten, bei Facebook hat die Tornadoliste bereits mehr als 14.000 Fans und es werden täglich mehr. Damit wird das Thema Tornados im Netz immer präsenter und es treffen auch mehr Meldungen ein. Das Ziel einer aussagekräftigen Statistik und der verbesserten Tornadowarnungen rückt damit allmählich näher.
-> Zur Tornadoliste
Meteopool: Vielen Dank für deine informativen und spannenden Antworten. Wir von Meteopool wünschen dir auch weiterhin beruflich wie privat viel Erfolg und damit verbunden stets das nötige Maß Freude an der Sache.
Das Interview wurde durchgeführt von Guido Richter.